top of page

Jonathan Ballou: „Ich bin dankbar für jedes Feedback“

Text: Martin Obermayr | Fotos: Aspen Skiing Company


Jonathan Ballou leitet eine der größten Ski- und Snowboardschulen der Welt. In Aspen Snowmass, Colorado, ist er für mehr als 1.200 Skilehrer und Snowboardlehrer verantwortlich. Wir haben uns mit ihm getroffen und erzählte er uns, was ihn am Schneesport so fasziniert: von E-Learning über unvergessliche Erlebnisse in der Natur bis hin zur notwendigen Zusammenarbeit aller Ski-Resorts weltweit.


Aspen Carving

Insight Snowsports: Auf dem Interski-Kongress 2019 in Pamporovo haben wir viel über die immer größere Macht der Gäste gehört. Was ist deine Meinung zu dem Thema?

Jonathan Ballou: In meiner Welt dreht sich alles um den Gast. Als Manager für eines der größten Skiunternehmen in den USA, die Aspen Skiing Company, ist der Gast für mich König. Die Erfahrung des Gastes ist für uns das Wichtigste. Aber das können wir ohne die Natur nicht bieten. Deshalb wurde bereits vor 20 Jahren die Environment Foundation in Aspen Snowmass gegründet. Der Zweck dieser gemeinnützigen Organisation ist es, die regionalen Ökosysteme zu schützen und zu erhalten, Bildungsmöglichkeiten zu bieten und die Auswirkungen des Klimawandels zu reduzieren.


Gäste haben heutzutage mehrere Möglichkeiten, Feedback zu geben: Rankings, Bewertungen, Social Media etc. Wie geht ihr damit um?

Jonathan: Das Feedback des Gastes schätze ich am meisten. Jeder Gast soll mir so viel erzählen, wie er oder sie kann. Nettes Feedback ist schön und gibt mir natürlich ein gutes Gefühl. Es ist eine Auszeichnung, die ich meinen Mitarbeitern weitergeben kann. Aber Wachstum passiert nicht, wenn wir uns ausschließlich gut fühlen. Denn einer der wichtigsten Werte von mir – und auch von meinem Unternehmen – ist Exzellenz. Exzellenz entsteht durch Selbstreflexion und die Überlegung, was ich für den Gast besser machen könnte. Es reicht also nicht, nur das gute Feedback zu bekommen, ich will auch alles Negative hören.

Jonathan Ballou, Skischulleiter Aspen
Jonathan Ballou, Skischulleiter Aspen

Welche Maßnahmen ergreift ihr, um Feedback zu erhalten und zu analysieren?

Jonathan: Wir überwachen alle unsere Social-Media-Kanäle mit qualifizierten Mitarbeitern: Facebook, Instagram, Trip Advisor etc. Zusätzlich haben wir eine Online-Umfrage, die wir jedem Gast schicken. Zwei Tage nach einem Kurs oder einer Privatstunde bitten wir um sehr ehrliches und direktes Feedback. Jeder negative und sogar neutrale Kommentar wird von uns genau verfolgt. Wir analysieren die Probleme, wollen den Gast wieder zu uns zurückbringen und versuchen, alle aufgetretenen Probleme wiedergutzumachen. Wir beobachten das über die gesamte Saison hinweg, um nach Trends zu suchen, wo unsere Treffgenauigkeit nicht ganz passt. Damit können wir unsere Organisation, unser Produkt, unsere Preise, unseren Kundenservice und unsere Marke an die Erwartungen unserer Gäste anpassen – nein: Wir können sogar besser sein, als es unsere Gäste erwarten.


Das klingt nach viel Arbeit, viel Ehrgeiz.

Jonathan: Absolut, aber das ist es wert. Ich bin den Menschen für ihr positives Feedback sehr dankbar, aber ich will auch das konstruktive und negative.


Werfen wir einen Blick in die Zukunft. Wird der Gast im Jahr 2025 noch mächtiger sein?

Jonathan: Im Lernprozess kontrolliert der Gast alles, denn normalerweise lernen die Menschen eine Sportart für sich selbst. Da gibt es keine externe Belohnung für sie. Sie wollen keine Medaille, keine Beförderung, keinen Abschluss. Als Organisation, die Unterricht anbietet, können wir den Gästen nicht vorschreiben, was sie zu lernen und erwarten haben. Vielmehr messen wir unseren Erfolg daran, ob der Gast etwas Sinnvolles mitnimmt und eine gute Zeit mit Mehrwert hat.

Anders gesagt, wir als Schneesport-Profis machen das Erlebnis des Gastes besser. Ich und alle anderen in unserem Unternehmen glauben fest daran, dass bessere Skifahrer und bessere Snowboarder mehr Spaß haben. Wenn du bei uns Unterricht nimmst, wirst du besser, weil du danach mehr Dinge tun kannst. Du bist entspannter, du kannst in unterschiedlichem Gelände fahren etc. Das ist der Maßstab für den Erfolg. Nicht, dass du tatsächlich die richtige Technik hast, sondern dass du es mehr genießt. Und die meiste Zeit ist das Lernen nur der Schlüssel zu dieser Erfahrung.


Was heißt das im Detail?

Jonathan: Skifahren, Snowboarden, Telemarken, Bergsteigen etc. – das ist ein Lebensstil. Die Freiheit, die Erfahrung und das Abenteuer machen süchtig. Außerdem gibt es eine starke soziale Komponente, es geht auch um Kameradschaft und zwischenmenschliche Erfahrungen, die das Leben verändern können. Dazu kommen ganz persönliche Erlebnisse und körperliche Errungenschaften auf dem Berg. Und das ist es, was wir Schneesportprofis ermöglichen. Aber wir müssen das ganz spezifisch auf die Wünsche und Bedürfnisse des Gastes zuschneiden – und manchmal auch auf die nicht ausdrücklich geäußerten Wünsche und Bedürfnisse. Der Unterricht ist nur ein kleiner Teil dessen, was wir tun. Er ist die Basis, die Grundlage. Was wir wirklich tun: Wir schaffen eine Erfahrung fürs Leben.


Das ist ein sehr ganzheitlicher Ansatz und unterstreicht, dass so viel hinter dem Vorhang passiert und nur ein bestimmter Prozentsatz auf der Bühne gezeigt wird.

Jonathan: Ganz genau. Und dass du nicht alles zeigst, ist die eigentliche Stärke. Du zeigst den Menschen nur das, was für sie wichtig ist. Du gibst ihnen die Erfahrungen, die sie wollen. Als Profi muss man sehr viel hinter dem Vorhang verstecken, man braucht einen riesigen Backstage-Bereich mit allen möglichen Requisiten für den Unterricht. Ich habe das Glück, solche Mitarbeiter zu haben, die schon seit 25, 30 Jahren bei uns sind. Es ist ihr Leben, ihre Karriere.

Aspen Skiing

Um auf die Frage des Gastes im Jahr 2025 zurückzukommen. Welche Arten von Erlebnis- sen werden wir in Zukunft anbieten?

Jonathan: Worauf ich hinauswill, ist – nennen wir es mal so – „unbegrenzte Kundenorientierung“. Was wir verkaufen, ist kein Produkt mehr im klassischen Sinn. Vor 30 Jahren haben wir eine Technik verkauft. Denk nur an die Skier, die man im Moment kaufen kann. Als ich in den frühen 1980ern mit dem Skifahren begonnen habe, war die Frage: Fahre ich einen Slalom- oder GS-Ski, nehme ich den 1,95- oder 2,01-Meter? Das war meine Auswahl. Schau dir heute ein Regal in einem Ski-Shop an. Da gibt es einen Slalom-, GS-, Freizeit-GS-, All-Mountain-, Freeride-Ski etc. Dazu noch Varianten wie Tip-Rocker-Ski und unterschiedlichste Breiten. Und mit etwas mehr Budget bekommt man einen Ski, der komplett für einen entworfen wurde. Das ist ein gutes Gleichnis dafür, wohin es mit geführten Skikursen gehen muss. Wir verkaufen keinen Gruppen- oder Privatunterricht mehr, sondern ein individuelles Erlebnis, das den Gast im Leben weiterbringt. Auf die Art müssen wir die Menschen erreichen und ihnen die unendlichen Möglichkeiten dieser erhabenen Erfahrungen vermitteln.


Wie lässt sich das in der Realität umsetzen?

Jonathan: Etwa ganz einfach durch unterschiedliche Startzeiten. Aber auch durch neue Formen in der Lehrerausbildung, wo wir eine Vielzahl von Möglichkeiten thematisieren, wie man den Unterricht zum Erlebnis macht. Oder durch kostenlose Online-Infos vor, während und nach dem Kurs. Der Kunde ist heutzutage ja viel informierter und anspruchsvoller. Deshalb müssen wir ihn schon vor dem Kurs mit den nötigen Details füttern. Dann wissen die Leute wirklich, was sie wollen.


Du meinst also, es geht nicht darum, mehr digitale Daten und technologische Geräte am Hang zu nutzen? Wie Tablets, auf denen man sich beim Skifahren sehen kann?

Jonathan: Könnte sein. Einige Technik-Tools sind aus pädagogischer Sicht absolut sinnvoll. Zum Beispiel, wenn man in Echtzeit überprüfen kann, was man tut. Aber das muss schnell, kurz und direkt sein. Dann bringt es den Leuten etwas. Aber ich frage mich schon: Warum gehen wir denn in die Berge? Um mehr Zeit an unseren Telefonen und Computern zu verbringen oder in die Natur einzutauchen? Wir sollten lieber den Nervenkitzel beim Skifahren und Snowboarden spüren, als noch mehr an unseren digitalen Geräten hängen. Wir sind bereits Sklaven unserer Smartphones. Die Aktivität in der Natur sollte uns von unseren Telefonen wegbringen. Das digitale Erlebnis muss das Abenteuer am Berg verstärken und nicht umgekehrt.


Beim Interski gab es auch Vorträge über den Einsatz von technologisch-spielerischen Hilfsmitteln, insbesondere für jüngere Menschen. Wie wäre es damit? Jonathan: Unsere Jugend erlebt das digitale Umfeld schon jetzt so intensiv. Die Frage ist, wie können wir das nutzen, um sie in die reale und soziale Welt voller Abenteuer zu bringen und nicht in die digitale. Wir müssen eine Symbiose zwischen diesen Welten schaffen. Unsere Geräte sollten uns befreien, nicht versklaven.


Du meinst, ich mache meine Online-Lektionen zu Hause und sage dann: „Super, genau das will ich tun!“ Jonathan: In der Lehrerausbildung ist dies eine Möglichkeit, wie uns die Geräte unterstützen können. Bist du mit dem Konzept des `flipped classroom ́ (umgedrehtes Klassenzimmer) vertraut?


Um ehrlich zu sein, nein.

Jonathan: Okay, ein Beispiel: Als ich Musik an der Universität studierte, besuchte ich die Vorlesung „Barockmusik des 17. Jahrhunderts“. Ich habe zugehört und mir Notizen gemacht. Danach bin ich in mein Studentenzimmer gegangen und habe dort die „richtige Arbeit“ erledigt: lernen, nachforschen, mein Wissen anwenden. Das heißt, ich habe die Informationen in einer „überwachten“ Umgebung erhalten und die Umsetzung in einer „unbeaufsichtigten“ gemacht. Dieser ganze Prozess war rückwärtsgerichtet und ein völliger Missbrauch der Zeit des Lehrers. Mit dem umgedrehten Klassenzimmer stellen wir das auf den Kopf.


Wie wendet man das auf die Skilehrerausbildung an? Jonathan: Wer Skilehrer werden will, bekommt schon vor dem Kurs die wichtigsten Inhalte online. Wir haben für fast alle Kurse in den USA und Neuseeland nun E-Learning-Programme gestartet. Wenn die Studenten zum Kurs kommen, haben sie bereits die Infos und stellen Fragen. Dadurch bleibt mehr Zeit für das eigentliche Training und die Praxis. Der Ausbilder vergeudet seine Energie also nicht mehr damit, am Rand der Piste oder im Seminarraum über Theorie zu faseln. Zudem müssen sich die Schüler mehr auf den Lehrer einlassen und mit ihm in Verbindung treten – was überhaupt zu den wichtigsten Fähigkeiten im Skilehrwesen zählt. Auf diese Weise wenden die Schüler die Inhalte besser an als wir damals, die wir nur Frontalunterricht hatten. Und damit schaffen wir ein höheres Niveau in der Ausbildung.


Was ist der nächste Schritt?

Jonathan: Wenn wir bessere Lehrer ausbilden, können wir das dann auch auf Kundenebene umsetzen. Der Freizeitskifahrer erhält also die Theorie, bevor er zu uns in den Kurs kommt. Als Schneesportprofi will ich ja nicht, dass Leute zu mir kommen und sagen: „Ich muss Zeit mit Jonathan Ballou verbringen, um herauszufinden, was er weiß.“ Nein, nein, ich will Leute, die sagen: „Hey, genau das will ich lernen. Ich weiß schon etwas darüber, aber ich brauche noch deine Expertise, um in einem bestimmten Bereich besser zu werden.“ Dann können wir unsere zwei Stunden oder drei Tage auf der Piste nutzen, um genau daran zu arbeiten. Der Gast entscheidet also, wo er hinwill, und als Trainer unterstütze ich ihn dabei, dieses Ziel zu erreichen. So wird die Zeit des Trainers optimal eingesetzt.


Was nimmst du vom Interski 2019 mit nach Hause?

Jonathan: Ein ganz wichtiges Thema für mich ist, dass das Lernen einen höheren Stellenwert hat als das Lehren. Und dass das Ergebnis und die Erfahrung des Schülers bedeutender sind als die Rolle des Lehrers. Ich bin ein großer Fan davon. Wenn wir das befolgen werden wir ganz sicher noch schüler- und gastzentrierter. Und ich höre das fast aus jedem Land – nicht genau in diesen Worten, aber sinngemäß. Das ist total aufregend. Ich war bei anderen Interskis, wo es vor allem um Fortschritt, Didaktik und Methodik ging. Aber jetzt geht es um Erfahrung – auf verschiedenen Ebenen und mit verschiedenen nationalen Konzepten.


Kannst du Beispiele nennen?

Jonathan: Es gibt Bemühungen, die Situation von Skischülern mit Erkenntnissen aus der Psychologie und Neurowissenschaft zu verstehen und beurteilen. Oder Entscheidungsmodelle, die es Lehrern ermöglichen, ihre Perspektive entsprechend den Bedürfnissen der Schüler zu ändern – Stichwort: zwischenmenschliche Fähigkeiten. Oder Ansätze, dass der Lehrer nicht an der Spitze der Hierarchie steht, sondern dass alle gleichberechtigt sind, was wiederum Gruppendynamik und Lernen positiv beeinflusst. Es gab eine Menge toller Ideen. Denn wie wir alle wissen, ist das Wichtigste, dass wir den Gast inspirieren, mehr Zeit auf dem Berg und mit uns zu verbringen.

Aspen Impressions

Wie siehst du die Zukunft des Schneesports im Allgemeinen? Was sind die wichtigsten Punkte, auf die man schauen muss? Jonathan: Ich arbeite für die Aspen Skiing Company. Offiziell stehen wir in Konkurrenz zu Resorts wie Vail, Courchevel usw. Aber das stimmt so nicht, denn als Branche konkurrieren wir mit allem, was man sonst noch tun kann. Die Besucherzahlen im Skibereich sind weltweit stagnierend. Das ist nicht nur so dahergesagt, sondern eine Tatsache. In den USA gibt es weltweit die meisten Skifahrer, Nummer 2 ist Frankreich, Österreich ist auf Platz 3, gefolgt von der Schweiz und Italien. Jedes dieser Länder weist stagnierende Zahlen auf. Und nicht erst seit 3 Jahren, sondern seit 40. Die Bevölkerung hingegen ist in diesen 40 Jahren um rund 35 Prozent gewachsen.

Die Besucherzahlen sind zwar stabil, aber wir schaffen keine Erhöhung. Die Menschen entscheiden sich für andere Dinge. Sie machen Kreuzfahrten, sie fahren an den Strand oder in Vergnügungsparks. Oder sie verbringen ihren Urlaub zu Hause und spielen mit ihren Smartphones. Wir als Branche müssen daher zusammenhalten und nicht gegeneinander kämpfen. Wir müssen vereint gegen alle anderen Aktivitäten in Wettstreit treten. Ich kann für mich sagen: Ich liebe Skifahren und Snowboarden. Es ist das, was mir am meisten Freude bereitet – und ich übe es gerne mit anderen Menschen aus.


Wie kann die Zahl der Skifahrer weltweit erhöht werden?

Jonathan: Wir können es nur gemeinsam schaffen. Wenn ein Resort Erfolg hat und fünf andere nicht, ist das schlecht für die Branche. Das ist natürlich gut für das eine Resort – und deren Betreiber können sich darüber freuen. Aber letztendlich wird es auch sie betreffen, wenn insgesamt weniger Leute kommen. Wenn ein Resort zusperren muss, ist das kurzfristig gut für die verbleibenden Resorts, aber im Endeffekt ist es schlecht für die gesamte Industrie.


Siehst du einen Trend oder eine Technologie am Horizont, die die Schneesportwelt enorm beeinflussen wird? Jonathan: Es gibt viele Entwicklungen da draußen, aber ich weiß nicht, welche es sein wird. Ich denke, dass eine bessere Online-Zugänglichkeit zu Informationen und kostengünstigere Möglichkeiten, sich dem Sport zu widmen, einen großen Unterschied machen werden. Zudem müssen wir vermehrt das emotionale Erlebnis ansprechen. Es geht nicht um die technischen Prozesse, sondern um den Spaß – das ist der Schlüsselfaktor. Und wenn du besser skifährst, hast du mehr Energie und noch mehr Freude dabei.


Hast du noch eine Botschaft, die du der Welt des Schneesports vermitteln möchtest? Jonathan: Das Einzige, das mehr inspiriert, mehr Spaß und noch süchtiger macht als Skifahren und Snowboarden, ist besser Skifahren und besser Snowboarden. Wenn wir das und die damit verbundenen sozialen Komponenten vermitteln, inspirieren wir zukünftige Generationen von Schneesportlern dazu, wieder andere Menschen zu inspirieren. Den Sport zu teilen, ist wahrscheinlich das Einzige, was noch mehr Freude bereitet, als den Sport zu betreiben. Denk nur daran, wie es ist, mit deinem besten Freund oder deiner Freundin Sport zu machen – es macht einfach um so viel mehr Spaß, wenn man diese Momente teilen kann.

bottom of page